Wie Präsident Musharraf die kritische Zivilgesellschaft Pakistans zum Schweigen bringen will und sich nicht im Geringsten um die internationalen Reaktionen schert.
6. November 2007
Die Acht-Millionenstadt Lahore galt schon immer als das politische Herz Pakistans und als Zentrum der Zivilgesellschaft. An den letzten beiden Tagen seit Verhängung des Ausnahmezustands durch General Musharraf bekommen deshalb die kritischen Stimmen in dieser Stadt die ganze Härte der Staatsmacht zu spüren. Gestern ignorierten hunderte Richter und Anwälte die Warnungen der Armee, zeigten Zivilcourage und Mut, als sie in Schlips und Kragen vor dem Gerichtshof von Lahore gegen Musharraf demonstrierten. Dann schlugen Polizisten auf die Juristen ein, beschossen sie mit Tränengas und nahmen hunderte fest. Das setzte sich heute fort. Verlässlichen Quellen zufolge sind bisher über 800 Personen verhaftet oder unter Anklage gestellt worden.
Anwälte unter Terrorverdacht und „Unter-Gefängnisse“
Die Vorwürfe gegen sie wiegen schwer: Die Anwälte werden unter anderem wegen Terrorismus angeklagt – und zwar nach einem 1997 erlassenen Anti-Terrorgesetz, in dem die Tatbestände äußerst schwammig definiert sind, und in dem es Generalklauseln gibt. Weitere Vorwürfe lauten auf Aufruhr und Staatsverhetzung – eine Freilassung gegen Kaution ist damit nicht möglich.
In Multan, einer Millionstadt im südlichen Punjab, gab es am Nachmittag schwere Auseinandersetzungen. Auch hier war es die Anwaltschaft, die auf die Straße ging. In Lahore und Islamabad waren am Sonntag und Montag hunderte Vertreterinnen und Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft festgenommen worden, hier in Lahore unter anderem die komplette Führung der Human Rights Commission of Pakistan. Sie wurden im Haus der Vorsitzenden Asma Jehangir eingeschlossen, das auf richterliche Anordnung (auf Grundlage der Notstandsgesetze) kurzerhand zu einem „sub-jail“, einem „Unter-Gefängnis“ also, erklärt wurde. Bei seinem „zweiten Putsch" nach der Machtergreifung von 1999 hob Musharraf auch Artikel 9 der Verfassung auf, der das Recht auf Leben und Freiheit garantiert. Die Geheimpolizei hat somit freie Hand. Außerdem wurden das Recht auf Bewegungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit ausgesetzt.
Die Medien und das Ansehen der Armee
Musharraf greift vor allem gegen die Medien durch, die in der Vergangenheit relativ kritisch berichteten. Journalisten, die sich über die Regierung oder die Streitkräfte „lustig machen“, drohen Haftstrafen von bis zu drei Jahren. Dies weist auf einen weiteren Grund für die Verhängund des Ausnahmezustands hin: Ansehen und Reputation der Armee haben in den letzten Monate so sehr gelitten, dass nun versucht wird, diese staatstragende Institution mit allen Mitteln zu schützen. Die schlechte Figur, die die hochgerüstete pakistanische Armee bei der Bekämpfung von Aufständischen, Neo-Taliban und Al-Qaida in den an Afghanistan grenzenden Gebieten abgibt, wurde zunehmend kritisch kommentiert. Es kursierten sarkastische Kommentare und Witze über Hundertschaften gekidnappter Soldaten und ganze Kompanien, die sich kampflos ergeben hatten. Die Armee ist tatsächlich demoralisiert, wobei es auch eine Rolle spielt, dass die Kriegsziele im „war on terror“ nicht klar sind, Teile der Armee mit den dschihadistischen Tendenzen der Neo-Taliban sympathisieren oder es schlicht satt haben, einen permanenten Kampf gegen die „eigenen Landsleute“ zu führen.
Die „Verfügung zum Schutz von Präsident und Armee“ trifft die private, unabhängige und traditionell kritische englischsprachige Presse Pakistans. Aber auch die privaten Radio- und Fernsehsender sind seit Samstag abgeschaltet. Auch auf jenen Kanälen, auf denen bisher die ausländischen Sender CNN und BBC zu empfangen waren, erscheint ein Testbild mit einer Zeile des Bedauerns. In Lahore versuchte die Geheimpolizei heute früh, die Redaktionsbüros der größten Mediengruppe The Jang Group zu versiegeln, stieß aber auf erbitterten, handgreiflichen Widerstand der Angestellten und zog von dannen. So gibt es trotz der Restriktionen immer noch kritische Beiträge. Zum Beispiel schrieb ein ungenannter Kommentator in Dawn, der einflussreichsten Zeitung Pakistans: „Es ist paradox, dass die natürlichen Alliierten gegen den Extremismus, die Mitglieder der Zivilgesellschaft, nun als Gefahr für die Staatsmacht dargestellt und verhaftet werden."
Wen kümmert’s – und was macht eigentlich Benazir Bhutto?
Gestern kursierten zahlreiche Gerüchte über einen Gegenputsch der Generalität und die Internierung Musharrafs. Diese waren so zahlreich, dass er sich nach zwei Tagen Funkstille zu einer Reaktion genötigt sah: Er habe „selten so gelacht“ ließ er verlauten. Musharraf rief zudem sein Kabinett für heute zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen, die live im staatlichen Fernsehen übertragen werden soll. Thema soll unter anderem der Zeitplan für die bevorstehende Parlamentswahl sein. Der Präsident wolle an dem Termin im Januar 2008 festhalten, sagte Kabinettsmitglied Sheikh Rashid Ahmad. Es gebe aber andere „Elemente, die eine Verschiebung um ein Jahr befürworten". Darüber, wer gemeint ist, lässt sich nur spekulieren.
Noch am Tag zuvor hatte Premierminister Shaukat Aziz eine Verschiebung der Wahl um bis zu ein Jahr angedeutet. Ein Schelm, der Böses dabei denkt...
Gegen eine Verschiebung der Wahlen protestierten USA und EU. Präsident Bush forderte Musharraf am Montag auf, den Ausnahmezustand zu beenden und sein Amt als Armeechef niederzulegen, ließ aber offen, ob die USA Strafmaßnahmen gegen Pakistan verhängen würden, sollte Musharraf den Forderungen nicht nachkommen. Musharraf, so Bush, sei ein „starker Kämpfer" gegen den internationalen Terrorismus. Mit dem Ausnahmezustand jedoch untergrabe er die Demokratie. Er habe deshalb Außenministerin Condoleezza Rice angewiesen, mit Musharraf zu telefonieren und ihm diese Botschaft zu überbringen.
Die Reaktion aus Islamabad kam prompt und fiel halbwegs zynisch aus: Musharraf betonte vor den versammelten ausländischen Botschaftern, er werde erst dann „die Uniform ablegen", wenn notwendige Korrekturen in Judikative, Exekutive und Legislative erfolgt seien. Heute verbat sich Islamabad offiziell internationale Kritik an der Verhängung des Ausnahmezustands. Es handele sich dabei um eine „innere Angelegenheit", stellte ein Sprecher des Außenministeriums klar. Die „außergewöhnliche" Entscheidung sei getroffen worden, um „außergewöhnlichen Herausforderungen" wie Terrorismus und Extremismus begegnen zu können. Von befreundeten Staaten erwarte man Verständnis für diesen Schritt.
Benazir Bhutto, die auf Lebenszeit gewählte Vorsitzende der Oppositionspartei PPP, erklärte, mit der „Diagnose Musharrafs, was falsch laufe im Staate Pakistan“, stimme sie grundsätzlich überein, der Ausnahmezustand sei jedoch nicht das geeignete Heilmittel. Wohl auch dieser sehr diplomatischen Äußerung wegen wurde sie heute in der Hauptstadt Islamabad mit fast protokollarischen Ehren am Flughafen empfangen.
Gregor Enste ist Leiter des Auslandsbüros der Heinrich-Böll-Stiftung in Lahore (Pakistan)